es heimatet
wir heimaten


  • Festival 2023, Zeughaus Teufen
  • Echo 2024, Mitledi Hundwil

Da, wo meine Füsse sind, ist meine Heimat.

Heimat, Heimat-Gefühle und Heimat-Vor­stel­lun­gen schweben wie eine diffuse Wolke über dem Appen­zel­ler­land, ebenso wie über anderen Regionen oder Nationen, in unseren Köpfen, in unseren Körpern, in Debatten und Bewe­gun­gen. Wer defi­niert, was Heimat ist? Wem gehört sie? Was behei­ma­tet sie und wen schliesst sie aus? Wann funk­tio­niert sie und wann beginnt sie zu bröckeln? Diese Fragen standen im Zentrum des Kul­tur­lands­ge­meinde-Zyklus Festival 2023 und Echo 2024. Die Kul­tur­lands­ge­meinde spürte den eigenen Heimat-Gefühlen nach, dis­ku­tierte unter­schied­li­che Vor­stel­lun­gen von Heimat und fragte nach Heimat-Bildern für die Zukunft.

Auf­ge­wor­fen und aus vielen Per­spek­ti­ven dis­ku­tiert und bea­r­bei­tet wurden diese Fragen am Festival 2023 im Zeughaus Teufen. Auf einer Wan­de­rung über die Hügel und Wiesen, durch die Töbel und Wälder wurden Erkennt­nisse, Ver­mu­tun­gen und noch offene Fragen im Frühling 2024 von Teufen via Stein nach Hundwil getragen. In der dritt­gröss­ten Gemeinde des Kantons, die sich vom Sän­tis­gip­fel über die Schwä­galp und die Hund­wi­ler­höle bis zum Dorf und ins Rachen­to­bel erstreckt, wurde am Echo 2024 vor Ort erkundet, was Heimat(en) hier und auf dieser Welt heute eigent­lich ausmacht.

Heimat bietet Ori­en­tie­rung, Sicher­heit, Ver­bind­lich­keit. All das ist nicht mit Abschot­tung zu haben, sondern nur in einer offenen, viel­fäl­ti­gen und aus­ein­an­der­set­zungs­freu­di­gen Gesell­schaft. Heimat braucht Bewegung, damit sie nicht eng und stickig wird. Einem aus­sch­lies­sen­den Begriff von Heimat stellten die Mit­wir­ken­den der Kul­tur­lands­ge­meinde das Ideal und die Realität von Heimat als ständig neu zu ver­han­deln­der Aufgabe gegen­über: «heimaten» als Prozess, indi­vi­du­ell und kol­lek­tiv.

«Es sind die Kind­heits­er­in­ne­run­gen, die erste Jugend­liebe, die ver­trau­ten Gerüche von Parfüm und Ziga­ret­ten in der Nähe von Freunden. Heimat ist Familie.»

Fotos 2023: Andri Vöhringer

Fotos: Ueli Vogt

Erinnerungen 2023

wie Veilchen
Heimat schreiben
An der Kulturlandsgemeinde 2023 bot sich die Gelegenheit, über den Begriff der Heimat nachzudenken.
Doch was bedeutet Heimat eigentlich?
Heimat ist nicht an einen geografischen Ort gebunden. Heimat ist vielmehr eine Sammlung von Eindrücken, Düften und Erinnerungen. Es ist der Duft von Mutters frisch aufgebrühtem Tee um 12 Uhr mittags. Es sind die Kindheitserinnerungen, die erste Jugendliebe, die vertrauten Gerüche von Parfüm und Zigaretten in der Nähe von Freunden. Heimat ist Familie.
Eine klare Definition für Heimat finde ich nicht. Sie ist zugleich bei mir und weit entfernt.
Jedes Mal, wenn ich das Wort «Heimat» höre, kommt mir dieses Gedicht des iranischen Dichters Mohammad Reza Schafi’i Kadkani in den Sinn. Es drückt in einem einzigen Satz aus, was Heimat für mich bedeutet:
«Wäre es doch möglich,
dass der Mensch seine Heimat
wie Veilchen mit sich nehmen könnte, wohin er auch wollte!»

Hoseyn A. Zadeh, Grafiker und Lyriker

Der Kulturlandsgemeinde begegnete ich zum ersten Mal als ich gerade von einer längeren Auslandreise in die Ostschweiz zurückgekehrt war. Obwohl ich in der Gegend aufgewachsen bin, war vieles neu: das Zuhause, der Arbeitsplatz, die Leute, die Orte des Austauschs. Eines der ersten Projekte bei TGG war der Wettbewerb für ein neues Erscheinungsbild der Kulturlandsgemeinde. Wir schlugen eine Piktogrammsprache vor, welche die vielfältigen und jährlich wechselnden Themen in visueller Form sichtbar machen konnte, bevor sie jeweils am ersten Maiwochenende tatsächlich fassbar und erfahrbar wurden. Mit der erfreulichen Zusage wurde die Kulturlandsgemeinde für mich so etwas wie ein intensiver Neuzuzügeranlass, später zu einem jährlich stattfindenden, fröhlichen Wiedersehen, vor allem aber zu einem Ort des gemeinsamen Nachdenkens. 

Mit der Kulturlandsgemeinde lernte ich den Kanton Appenzell Ausserrhoden von Beginn an als Ort kennen, an dem unglaublich viele Leute zu einem kulturellen Reichtum beitragen und an dem eine wohlwollende, aber auch kritische Auseinandersetzung mit dem Hier und Jetzt stattfindet.

Angela Kuratli, Grafikerin und Gestalterin der Kulturlandsgemeinde-Piktogramme

Mitwirkende 2023

Ueli Alder
Sabine August
Anna Beck-Wörner
Michael Boden­mann
Martin Booms
Yvonne Apiyo Brändle-Amolo
Café Fuerte
Chris­tina Caprez
Samira El-Maawi
Jo Glaus
Vasco Hebel
Irene Hoch­reu­te­ner
Hao Hohl-Yu
marc norbert hörler
Rahel Imboden
Luzia Kap­penthu­ler
Chri­s­toph Keller
Julia Kubik
Thomas Künzle
Angela Kuratli
Maj Lisa
Fabienne Luna
Corinne Riedener
Jana-Sophie Roost
Barbara Signer
Steff Signer
Han­spe­ter Spörri
Peter Surber
Valentin Surber
Verein Meter
Rubel Vetsch
Ly-Ling Vilay­sane
Andri Vöhrin­ger
Matthias Weis­haupt
Hoseyn A. Zadeh
Beth Zur­bu­chen

Künstlerische Leitung 2023

Ueli Vogt

«Das gemein­same Wandern und Zuhören liess Fremde zur ver­trau­ten Herde werden.»

Fotos 2024: Andri Vöhringer

Erinnerungen 2024

Die Kulturlandsgemeinde bot uns die wunderbare Gelegenheit, zwei interessierten Gruppen unsere Heimat zu zeigen. Der Marsch zur Tobelbrücke war wie immer schmal und steil. Kaum zu glauben, wie die Leute ihre Ware in früheren Jahren auf diesem Weg mit Pferd und Wagen sowie zu Fuss nach Herisau und St. Gallen transportierten. Ein Werk der Grubenmanns aus Teufen zu zeigen, ist anspruchsvoll. Die Baumeister mit ihren praktischen Erfahrungen erstaunen Brückeningenieur:innen bis heute. Die Sprüche auf den Querbalken im Dachgeschoss der «Sprechenden Brücke» erzählen den Wandernden deren Entstehungsgeschichte. Ein Blick durch die offenen Fenster der Brücke zeigt den Fluss Urnäsch mit seinen verschiedenen Tiefen.

Als weiteren Programmpunkt besuchten wir die Weissküferwerkstatt von Robert Lauchenauer und boten Einblick in ein aussterbendes Kunsthandwerk. Der Weissküfer stellte in früheren Jahren das Milchgeschirr für die Bauern auf der Alp her, Butterfass, Sauerfass, Käsegeschirr, Melkstuhl und Holzschalen, Schöpflöffel, aber auch Fahreimer, die für die Alpfahrt benutzt wurden und werden.

All diese Eindrücke haben Heimat vermittelt und werden uns noch lange in Erinnerung bleiben.

Margot Blaser und Verena Lauchenauer, Hundwilerinnen

Es war berührend für mich, wie sich die Welten und Heimaten verbanden, verflochten und sich auftaten beim «Weather-Wandering» – Bilder und Blickwinkel vom South West Coast Path in Begegnung mit dem Appenzellerland, in neuem Licht wahrgenommen. Horizonte gingen auf und brachten uns zugleich in den gemeinsamen Moment – im Schnee, bei den ersten Narzissen, beim grossen Käse der Schaukäserei, wo wir «Homebases» der Sprache erkundeten. Das Tosen des Flusses liess uns nah zusammenrücken. Sein Rauschen färbte die Erzählungen über Wasser und Wasserwege. Das gemeinsame Wandern und Zuhören liess Fremde zur vertrauten Herde werden.

Suramira Vos, Schauspielerin und Autorin

Mitwirkende 2024

Ursula Badrutt
Hans-Ruedi Beck
Anna Beck-Wörner
Andreas Beutler
Margot Blaser
Sabine Burchard
Gisa Frank
Peter Graf
Gallus Hess
Carlos Hidalgo
Brigitte Jagg
Luzia Kap­penthu­ler
Judith Keller
Gonne Klein
Reena Krish­na­raja
Julia Kubik
Thomas Künzle
Verena Lau­che­nauer
Vera Marke
Werner Meier
Margrit Müller
Sarah Elena Müller
Mara Natterer
Walter Neff
Benjamin Rempfler
Steff Signer
Han­spe­ter Spörri
Valentin Surber
TV Hundwil
Rubel Vetsch
Andri Vöhrin­ger
Suramira Vos
Johannes Werner
Andreas Ziegler

Konzeptgruppe 2024

Barbara Auer
Margrit Bürer
Fabienne Duelli
Theres Inauen
Peter Surber

Die Kul­tur­lands­ge­meinde Festival 2023 fand aus­nahms­weise nicht am ersten Wochen­ende im Mai, sondern über das Auf­fahrts­wo­chen­ende während vier Tagen im Zeughaus Teufen statt. Hier wurden die viel­sei­ti­gen Facetten von Heimat zum einen in Werk­stät­ten bea­r­bei­tet: Die Besu­chen­den schnitz­ten unter Anlei­tung von Rahel Imboden und Angela Kuratli Heimat-Pik­to­gramme, sie zeich­ne­ten mit Maj Lisa Dörig Heimat-Erin­ne­run­gen, mit Hoseyn A. Zadeh ent­wi­ckel­ten sie neue Buch­sta­ben im Dialog zwischen Schrift­sys­te­men, mit Vasco Hebel gossen sie hei­mat­lich duftende Seifen und im «Hai-Mat» vom Verein Meter filzten und sägten sie kleine Hai­fi­sche. Zum anderen dis­ku­tier­ten auf drei Podien rund ein Dutzend Mit­wir­kende aus ihren je eigenen Per­spek­ti­ven über Heimat: Yvonne Apiyo Brändle-Amolo, Matthias Weis­haupt und Hoseyn A. Zadeh sprachen mit Peter Surber über Heimat als Gefühl und Iden­ti­tät. Fabienne Luna Egli, Chri­s­toph Keller, Jana-Sophie Roost und Ly-Ling Vilay­sane loteten mit Corinne Riedener den Körper als mög­li­chen Ort der Behei­ma­tung aus und Sabine August suchte mit Ueli Alder, Martin Booms, Irene Hoch­reu­te­ner und Hao Hohl-Yu nach der Heimat in ver­schie­de­nen Land­schaf­ten. In ihrer packen­den und gleich­zei­tig berüh­ren­den Sonn­tags­rede unter dem Titel «Reclaim Heimat» umkreiste die Schwei­zer Autorin Samira El-Maawi die Schwie­rig­kei­ten einer Heimat, zu der man sich nicht zuge­hö­rig fühlt, und plä­dierte für eine Rück­erobe­rung des Hei­mat­be­griffs unter Vor­zei­chen von Diver­si­tät und Toleranz. Künst­le­ri­sche Inter­ven­ti­o­nen zum Thema kamen vom Audio- und Duft­künst­ler marc norbert hörler, vom Musiker und Mytho­lo­gen eines hei­mat­li­chen «Hen­der­lands» Steff Signer, von der The­a­ter­gruppe Café Fuerte mit dem Stück «Truck Stop» und von Michael Boden­mann und Barbara Signer, die ihre Bar «El Gato Muerto» bereits im Vorfeld der Kul­tur­lands­ge­meinde im Schopf neben dem Zeughaus ein­ge­rich­tet hatten und diese als viel­stim­mi­gen Heimat-Stamm­tisch betrie­ben. Thomas Künzle und Valentin Surber prä­sen­tier­ten mit dem Hei­mat­schutz Appen­zell Aus­serr­ho­den Visionen für das appen­zel­li­sche Land­schafts­bild in 20 Jahren mittels Skizzen auf Bier­de­ckeln, welche leben­dige Debatten ans­ties­sen: wie etwa zur Zukunft der cha­rak­te­ris­ti­schen Streu­sied­lung und des tra­di­ti­o­nel­len Kreuz­first­hau­ses, zu den Wider­sprü­chen zwischen Ver­dich­tung und Land­schafts­schutz oder zur Nutzung der sen­si­blen vor­al­pi­nen Land­schaft für die Wind­kraft. Julia Kubik und Jo Glaus pro­du­zier­ten während der Kul­tur­lands­ge­meinde eine fes­ti­va­lei­gene Zeitung, die «Heip» (kurz für Heimat-Post) und Chris­tina Caprez lud in Teufen und anderswo zu einem inter­ak­ti­ven Audio­walk zum Thema «Fremd Zuhause». Bereits im Vorfeld des Fes­ti­vals fanden eine Gesprächs­reihe in der Bar «El Gato Muerto» sowie Film­a­bende in Koope­ra­tion mit dem Kino Rosental Heiden statt, die auf das Thema ein­stimm­ten.

Als «Zwi­schen­lauf» zwischen dem Festival und dem Echo fand am Grün­don­ners­tag, 28. März 2024, eine Wan­de­rung statt: Beglei­tet von wech­sel­haf­tem Wetter wanderte eine gut gelaunte Gruppe über die Hügel und Wiesen, durch die Töbel und Wälder von Teufen via Stein nach Hundwil. Die in Trogen auf­ge­wach­sene Schau­spie­le­rin Suramira Vos las unter­wegs an mehreren Sta­ti­o­nen aus den Auf­zeich­nun­gen ihres Artist-in-Resi­dence-Auf­ent­halts auf dem South West Coast Path im Süden Englands. Vos' Beschrei­bun­gen der südeng­li­schen Küs­ten­land­schaft, ihre Berichte von Begeg­nun­gen mit Wind und Wetter, Menschen und Tieren gerieten dabei in ein poe­ti­sches und humor­vol­les Echo mit der Appen­zel­ler Land­schaft.

Ihre Fort­s­et­zung fand die Kul­tur­lands­ge­meinde am 5. Mai 2024 mit dem etwas klei­ne­ren, ein­tä­gi­gen «Echo» in Hundwil. Im Zentrum stand der Ver­an­stal­tungs­ort selber: Hundwil. Auf vier Spa­zier­gän­gen konnte das Hin­ter­län­der Dorf erkundet werden. Eine Wan­de­rung mit Verena Lau­che­nauer und Margot Blaser führte zur ver­steck­ten «Spre­chen­den Brücke» im Rachen­to­bel, eine weitere zu den Kind­heits­or­ten des Musikers Steff Signer. Der Rundgang mit der Gemein­de­prä­si­den­tin Margrit Müller und dem kan­to­na­len Denk­mal­pfle­ger Hans-Ruedi Beck gab Ein­bli­cke in die Ent­wick­lung des Bauens und Wohnens im Dorf, und die Künst­le­rin Vera Marke öffnete ihr his­to­ri­sches Bür­ger­haus am Lands­ge­mein­de­platz, in dem sie ein For­schungs­pro­jekt zur Farb­ge­schichte betreibt. Kritisch-humo­ris­tisch knöpfte sich die Stand-Up-Comedian Reena Krish­na­raja das Appen­zel­ler­land zwischen Grub AR und Hundwil vor. Für die «Heip» betrieb die Comic­zeich­ne­rin Julia Kubik Pro­vinz­for­schung und magi­schen Jour­na­lis­mus am Ver­an­stal­tungs­ort. Den urbanen Gegenpol dazu zeigte die Vide­odo­ku­men­ta­tion «Es gibt keine Anderen» aus der Berner Gross­über­bau­ung Tschar­ner­gut, die Sarah Elena Müller und Johannes Werner im Rahmen der Vir­tu­el­len Residenz der Kul­tur­lands­ge­meinde geschaf­fen haben. Bau­kul­tu­relle Fragen um die Ver­än­de­rung der Stall­bau­ten im Appen­zel­ler­land wurden an einem Archi­tek­tur­stamm­tisch mit Valentin Surber und Thomas Künzle lebhaft dis­ku­tiert. Per­for­mer:innen um die Cho­reo­gra­phin Gisa Frank beglei­te­ten mit Rapid, Trich­tern und viel­spra­chi­gen Hei­mat­ru­fen den Anlass. Sänger des TV Hundwil eröff­ne­ten das Programm mit Zäuerli, und mit facet­ten­rei­chen elek­tro­ni­schen Hei­mat­klän­gen zwischen Mexiko, Berlin und Wald AR beschloss der aus Kolum­bien stam­mende Musiker Carlos Hidalgo, im Zusam­men­spiel mit Walter Neff, Benjamin Rempfler und Judith Keller, den Tag. Zum Abschluss des zwei­jäh­ri­gen Kul­tur­lands­ge­meinde-Zyklus «es heimatet, wir heimaten» trugen Suramira Vos und Peter Surber die Send­schrift vor, das Manifest der Kul­tur­lands­ge­meinde, in die Ein­drü­cke, Erkennt­nisse und For­de­run­gen zum Thema ein­flies­sen. Diese feiert den offenen Blick, das Unter­wegs­sein und die Viel­spra­chig­keit und pro­kla­miert ein Men­schen­recht auf Heimat.

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