grösser
glücklicher
gerechter
Kulturlandsgemeinde 2017, Herisau
In den Olymp aufsteigen oder das Paradies auf Erden bauen?
Schneller rennen. Besser aussehen. Gesünder essen. Sicherer anlegen. Freier fallen. Enkel:innen-tauglicher planen. Demokratischer entscheiden. Grösser denken. Glücklicher werden. Gerechter verteilen. Beweglicher. Erfolgreicher. Weiser. Gewiefter. Mutiger. Solidarischer. Die Facetten des Weiterentwickelns, Verbesserns und Perfektionierens sind grenzenlos.
Die Kulturlandsgemeinde 2018 strebte nach Höherem und trieb es auf die Spitze. Im Sportzentrum Herisau – dort, wo gewöhnlich die Optimierung der Fitness, der Muskelmasse oder des Teamgeists im Vordergrund steht – debattierte und erprobte das Festival während zweier Tage über sportliche Höchstleistungen hinausgehende Aspekte des Optimierens. Wollen Sie lieber in den Olymp aufsteigen oder das Paradies auf Erden bauen? Welchen Idealen eifern Sie nach? Wo sind Sie besser als durchschnittlich und wo eher grössenwahnsinnig? Sehnen Sie sich nach einem erfüllteren Leben?
«Familien, frisch vom Hallenbadbesuch, picknickten auf der Waldlichtung, die Menschen verweilten und liessen sich von der raffinierten Klanglichkeit verführen.»
Erinnerungen
«handcherom / on the other hand»: Der Hinterfragung von «grösser, glücklicher, gerechter» durch «keiner reicher, ohne einer ärmer» folgte meine Grundidee, die Kulturlandsgemeinde selbst zu optimieren, indem ich darin einen nachhaltigen Prozess auslöse. Tatsächlich habe ich während der Kulturlandsgemeinde vor allem mein 2007 begonnenes Schulgarten-Projekt in Namibia optimiert. Obwohl ich es darauf angelegt hatte, habe ich erst im Gespräch mit den Besuchenden, die Teil der sozialen Skulptur wurden, realisiert, dass die Arbeit weltumspannend werden kann. Rückblickend hat das Projekt über die berührende Teilnahme der Besuchenden, die entstandenen Kontakte und die künstlerische Klärung an der Kulturlandsgemeinde einen Neustart erhalten, der bis heute anhält – «komplexer, selbstbewusster, runder».
Es war eine grossartige Anfrage, das Sportzentrum Herisau klanglich zu bespielen, eine Carte Blanche für drei Tage. Es entstand der Klangwald mit 384 Klangbäumen als Klanginstallation im Eingang des Sportzentrums, der die Besucher:innen empfing und sie auf dem Weg zur Kulturlandsgemeinde mit einem vielschichtigen, virtuellen Waldklang empfing. Familien, frisch vom Hallenbadbesuch, picknickten auf der Waldlichtung, die Menschen verweilten und liessen sich von der raffinierten Klanglichkeit verführen. Schwingende Klangkugeln in der Doppelturnhalle takteten die Kulturlandsgemeinde und ein cellistischer Tanz mit Eiskunstläuferin auf dem grossen Eisfeld waren das Sahnehäubchen einer sehr erfüllenden Anfrage.
Wenn ich an die Kulturlandsgemeinde denke, habe ich immer den Satz im Sinn: Die Welt ist ein Gespräch. Ich glaube, er stimmt. Ohne Gespräch (verbal oder nonverbal), ohne Austausch, passiert nichts, bewegt sich nichts. Die Kulturlandsgemeinde ist für mich deshalb ein Ort des Gesprächs über möglichst viele Gegensätze und Grenzen hinweg.
Mitwirkende
Nicole Bernegger
Iris Blum
Ralf Bruggmann
Flavia Canzian
Isabelle Chappuis
Claude M. Da Rin
Laura de Weck
Magdalena Früh
Roger Gassert
Yonas Gebrehiwet
Paola Ghillani
Matthias Haller
Nadia Holdener
Gallus Knechtle
Sarah Küng
Urs Küppers
Regula Lienhard
Pascal Manser
Iouri Podladtchikov
Mark Riklin
Stefan Schrade
Thomas Stricker
Bettina Tuor
Stina Werenfels
Bruno Wiederkehr
Werner Witschi
Urs Wüstiner
Konzeptgruppe
Margrit Bürer
Gisa Frank
Fabian Harb
Theres Inauen
Gallus Knechtle
Petra Schmidt
Hanspeter Spörri
Esther Widmer
Drei Plattform-Gespräche widmeten sich am ersten Festivaltag unterschiedlichen Dimensionen von Optimierungen: dem optimierten Körper, dem optimierten Leben und der optimierten Gesellschaft. Jeweils zum Auftakt der Gespräche präsentierten die Digital Storyteller Nadia Holdener und Bettina Tuor kleine Lifehacks, die das Alltagsleben vereinfachen. Verschiedene Werkstätten, verteilt im Sportzentrum Herisau, schufen Raum für Experimente, Expertisen und den Austausch: Die Historikerin Iris Blum lud zum Training mit Fitnessgeräten und anregender Lektüre, die Anlageberaterin Sarah Küng und der Vorsorgeberater Urs Wüstiner gaben Auskunft übers schlaue Anlegen, ob mit viel oder wenig Geld, die Farbberaterin Magdalena Früh verriet Tipps und Tricks zum vorteilhafteren Verwenden von Farben und der Ingenieur Stefan Schrade führte mit Werner Witschi vor, wie Querschnittsgelähmte dank Robotertechnik und Exoskelett wieder aufrecht gehen können. Wer mal eine Pause vom dichten Optimierungsprogramm brauchte, zog sich zu Mark Riklin in die Garderobe zurück, um dort an der Not-to-do-Liste mitzuschreiben. Der Cellist, Komponist und Audio-Designer Stefan Baumann lud zu einem Hörspaziergang durch den Klangwald und der Bildende Künstler Thomas Stricker arbeitete zusammen mit den Besucher:innen der Kulturlandsgemeinde an einer sozialen Skulptur, die das Sportzentrum Herisau mit einem Gartenprojekt an der Primarschule Kalkfeld in Namibia verband. Am Samstagabend fand die erste Vergabefeier der 2015 an der Kulturlandsgemeinde lancierten Stiftung Erbprozent Kultur statt, gefolgt von einer Performance mit Cellist Stefan Baumann und Eiskunstläuferin Flavia Canzian auf dem Eisfeld.
Die Sonntagsrede und die Sendschrift machen die Kulturlandsgemeinde einzigartig: Die Rede am Sonntag hielt die Autorin und Schauspielerin Laura de Weck. Während des Festivals rüstete, würzte und servierte das Team rund um die Köche Gallus Knechtle, Pascal Manser, Urs Küppers und Claude M. Da Rin im Höchsttempo und mit viel kulinarischer Sicherheit. Zum Kaffee gab es die eigens für die Kulturlandsgemeinde produzierten Glückskekse mit Texten vom Texter Ralf Bruggmann.