Wir erben – wir Erben

Kulturlandsgemeinde 2015, Heiden

Der Tanz ums Erbe(n)

Die Kul­tur­lands­ge­meinde 2015 ging dem Erben und Vererben auf die Spur. Im Kursaal Heiden, einem bedeu­ten­den kul­tu­rel­len Erbstück der Gemeinde, im Kurort mit Blick über den Bodensee fragte das Festival nach dem, was unsere Gesell­schaft für nach­fol­gende Gene­ra­ti­o­nen als wertvoll und bedeut­sam dekla­riert. Die Kul­tur­lands­ge­meinde unter­suchte, was den Menschen mit Genen in die Weite gelegt wird: Talente und Bega­bun­gen oder der Hang zur Melan­cho­lie, ange­bo­rene Eigen­hei­ten oder kreative Energien. Und selbst­ver­ständ­lich ging es auch um Geld und Güter – viele, wenige oder gar keine. Während zwei Tagen tausch­ten sich Fach­leute aus Kultur, Politik und Gesell­schaft zusammen mit dem Publikum über die Dimen­si­o­nen und Wege, Seg­nun­gen und Hin­der­nisse des Erbens und Ver­er­bens aus.

«Eine Erb­schaft können wir ver­die­nen, indem wir sie frucht­bar machen.»

Fotos: Hannes Thalmann

Erinnerungen

Ehrlich gesagt war mir, nach meinem Wechsel 2006 vom Kirchner Museum Davos an das Kunstmuseum Appenzell, die Kulturlandsgemeinde Appenzell Ausserrhoden ebenso fremd und befremdend wie die politische Landsgemeinde in Appenzell Innerrhoden: Rituale der Souveränität. Zumindest die Kulturlandsgemeinde entpuppte sich im Lauf der Jahre als sinnvolles Instrument, einen erweiterten Kulturbegriff im Appenzellerland zu verankern: Kultur als Ergebnis eines In- und Miteinanders gesellschaftspolitischer und künstlerischer Haltungen. Das Forum, an dem potentiell alle Menschen aktiv teilhaben konnten, wurde so, wenn auch nur für Augenblicke, zur relevanten Realisation einer Utopie: der Möglichkeit, gemeinsam und lustvoll an der Gestaltung einer lebendigen und lebenswerten Zukunft zu arbeiten. Das ist wenig und doch sehr viel.

Roland Scotti, Kunstwissenschaftler und Kurator

Wehmütig und leicht neidisch nehme ich – mit 83 – zur Kenntnis, dass die Kulturlandsgemeinde erst 20 wird. Dennoch trägt dieses noch junge Wesen ein uraltes Erbe in sich, nämlich die Urform der Demokratie, welche seit dem Spätmittelalter durch Erheben der Hand im Ring die Zusammengehörigkeit kultivierte.

Da ich als Filmer mit Nidwaldner Wurzeln durch mein Engagement gegen das Atomendlager im Engelbergertal dazu beitrug, dass die dortige Landgemeinde wegen undemokratischen Machenschaften nach 700 Jahren abgeschafft wurde, empfand ich es als besondere Ehre, an der Kulturlandsgemeinde von 2015 als Sonntagsredner zu amtieren, und dies erst noch zum feinsinnig-doppelbödigen Thema: «Wir erben – wir Erben». Diese drei Tage in Heiden werden mir als eine grosse, warme Umarmung in Erinnerung bleiben.

Fredi M. Murer, Filmemacher

Ich war damals aufgeboten, das Erben zu rechtfertigen. Tatsächlich bin ich ja eine Erbin, wenn auch speziell. Befreundet mit der Eigentümerin eines Grundstücks in Zollikon, pflegte ich über viele Jahre ihren Garten, ganz ohne Spekulation, ich bin eine Garten-Närrin. Als die Besitzerin alt wurde, sich zum Sterben legte, wollte sie den Garten am liebsten in meinen Händen sehen – und vermachte mir das Grundstück. In meinem Referat sprach ich davon, dass man das Erbe immerzu weiter rechtfertigen soll. Ich brachte den Garten in eine neue Entfaltung, er ist jetzt zu jeder Jahreszeit eine Pracht. Das sehe ich noch immer so. Eine Erbschaft können wir verdienen, indem wir sie fruchtbar machen. Nun bin ich selber alt. Und habe Mühe, Jüngere zu finden, die sich an so etwas Unwägbares wie einen Garten verschwenden wollen.

Franziska Schläpfer, Journalistin und Autorin

Mitwirkende

Ueli Alder
Barbara Bet­schart
Marie-Louise Dähler
Helvetic Fiddlers
Agnes Hirschi
Norbert Hoch­reu­te­ner
Erika Koller
Ulrike Langbein
Kurt Lüscher
Fredi M. Murer
Norbert Näf
Fran­ziska Schläp­fer
Fran­ziska Schürch
Roland Scotti
Corinne Spiller
Julia Sutter
Laura Vogt
Maja Wicki-Vogt
Anita Zim­mer­mann

Konzeptgruppe

Margrit Bürer
Heidi Eisenhut
Gisa Frank
Theres Inauen
Gallus Knechtle
Petra Schmidt
Han­spe­ter Spörri
Ueli Vogt

Drei Platt­form-Gesprä­che widmeten sich dem, was wir freud­voll und mit Leich­tig­keit oder ung­lü­ck­lich und als Last (ver-)erben: Geld und Güter, Körper und Gene, Wissen und Werte, Tra­di­ti­o­nen und Geschich­ten. Jeweils zum Auftakt luden die Musi­ke­rin Barbara Bet­schart und die Tän­ze­rin­nen Gisa Frank und Erika Koller zu einigen Tanz­schrit­ten. Aus der Airbrush-Pistole der Künst­le­rin Anita Zim­mer­mann wucherte während des Fes­ti­vals ein Stamm­baum, welcher Bezie­hun­gen zwischen dem Hier und Jetzt, Ver­gan­ge­nem und Zukünf­ti­gem sichtbar machte. Die Auto­rin­nen Julia Sutter und Laura Vogt hielten die Geschich­ten rund um die von den Besucher:innen mit­ge­brach­ten Erb­ge­gen­stände fest. Die Rechts­an­wäl­tin Corinne Spiller bot eine Beratung rund um Fragen des (Ver-)Erbens an. Es gab eine Jukebox mit einem Archiv von Tönen, Geräu­schen und Musik aus dem Appen­zel­ler­land und Heidener Schüler:innen zeigte ihre Ansich­ten zum Heute und Morgen. Eine Ausstel­lung, kura­tiert von Roland Scotti, ver­sam­melte Werke, die Künstler:innen der Region einer künf­ti­gen Gene­ra­tion hin­ter­las­sen wollen. Das Publikum wählte daraus per Handmehr zwei Werke, die als Teil des kul­tu­rel­len Erbes in die kan­to­nale Kunst­samm­lung von Appen­zell Aus­serr­ho­den ein­gin­gen. Am Sams­tag­abend feierte die Aus­serr­ho­di­sche Kul­tur­stif­tung ihr 25-jähriges Jubliäum, das gemein­same Tanzen zur Musik der Helvetic Fiddlers stand dabei im Zentrum.

Am Sonn­tag­mor­gen wurde die Stiftung Erb­pro­zent Kultur vor­ge­stellt. Die Idee zur Kul­tur­stif­tung war bei den Vor­be­rei­tun­gen zum Festival ent­stan­den und ist in diesem Sinne ein Ver­mächt­nis der Kul­tur­lands­ge­meinde. Nach der Ver­le­sung der Send­schrift hielt der Fil­me­ma­cher Fredi M. Murer die Sonn­tags­rede zum Thema.

Apfelbaum
Brücke
Atomkraftwerk
DNA
Gesetz
Geige
Geld
Verwandtschaft
Kuchen
Klammer
Sprechblasen
Testament
Mitten am Rand

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