Text: Julia Kubik
Aufgewachsen bin ich in Buchs, Wahlkreis Werdenberg, Region Rheintal, Kanton St.Gallen. Heute, seit über 10 Jahren in der Stadt St.Gallen wohnend, sag ich meistens nur „Rheintal“ oder „Chancental“(ehemaliger Standort-Werbeslogan, den viele (Ex-)Rheintaler:innen halbironisch benutzen)wenn mich jemand fragt, woher ich bin. Es ist interessant zu beobachten, was dann beim Gegenüber passiert. Meistens wird in diesem Moment mit einer Erwartung gebrochen, weil: ich bewege mich hauptsächlich in (eher urbanen) Kunst und Kultur-Kreisen, kann weder Autofahren noch vertrage ich viel Alkohol, hab keine nennenswerten Handwerklichen oder Sportvereinsmässigen Skills, und einen erkennbaren Dialekt hab ich auch nicht, resp. die Rückstände davon haben sich mit der Zeit immer mehr verwaschen. Manchmal wird dann gesagt: „Ah krass, me merkts der garnöd aa.“ Das Rheintal geniesst ausserhalb seiner selbst keinen besonders guten Ruf. Es ist bekannt als rustikale Gegend, von Industrie und Landwirtschaft geprägt, unschöne Einfamilienhaus-Dörfer die sich ohne richtiges Zentrum an tristen Stassen entlangziehen, schroffer Mentalität und rauhem Dialekt. Einmal sagte mir einer, den ich erst seit ca. 5 Minuten kannte, bei einer Party in St.Gallen: „Krass. S’Rhintl isch wie d’USA. Überall mueme mitem Auto ane und d’Lüt sind vill Gwaltbereiter. Es isch de rust belt vode Schwiz.“ Ich fand das zwar lustig, aber auch ziemlich übertrieben. Zwar gehe ich bei fast allen negativen Rheintal-Vorurteilen mit, kann mir nicht vorstellen, jemals wieder dorthin zurückzuziehen und bin mit 17 relativ überstürzt und entschlossen weggezogen. (Wenn auch, zugegeben, St.Gallen nicht richtig weit weg ist) Aber mit zunehmender Distanz sehe ich auch klarer, was ich dort mochte. Und einige Dinge vermisse ich. Die Weite der Landschaft, das breite Tal, das Gefühl von Platz und Aussicht in alle Richtungen, obwohl man von Bergen umgeben ist. Die wilden und weitläufigen Teile der Natur. Ein paar sehr liebe Menschen. Die Störche im Riet, die Kiesdämme am Rhein, die vielen bekannten Wege und Plätze. Den speziellen Humor, den das Leben in der Provinz bei manchen Leuten mit der Zeit herausschleift. Überhaupt: der Witz, der in der Sprache steckt. Vielleicht würden mir das Leute, die nicht da aufgewachsen sind auch absprechen(weil wiegesagt: grösstenteils unbeliebter, rauher Dialekt), oder als Verklärung abtun. Aber ich kann nichts dagegen tun, das ich mich freue, und oft amüsiere, wenn ich den Dialekt wieder höre. Er transportiert ein Lebensgefühl, das ich schlecht mit Worten beschreiben kann, aber emotional immer wieder daran anknüpfe. In kleinen Dosen und mit dem Wissen, jederzeit wieder weggehen zu können. Long Story short: Beim Gedanken an rechtskonservative Politik, Fasnachtsbeizen, Saufen und Sport als einzig vorstellbare Freizeitbeschäftigungen, Hells Angels, Schützenvereine, Autofixierung und Gewaltbereitschaft gruselt mir, und ich bin froh, dort nicht mehr zu wohnen. Aber wenn ich mit der S-Bahn richtung Buchs fahre, das Tal sich weitet, und das alte, extrem baufällige Buchser Kieswerk hinter dem (sehr hässlichen)Bahnhof ins Blickfeld tritt, wird mir warm ums Herz. Und dann spaziere ich zu irgendwelchen vertrauten Orten, in der Hoffnung, einpaar kauzige Locals erzählen gerade eine lustige Geschichte, und ich kann mich spontan dazusetzen.