24. Mai 2023, 17.13 Uhr

Ei­gent­lich finde ich Hei­mat vor­al­lem in Freund­schaf­ten, Kul­tur­pro­duk­ten und zu­fäl­li­gen Mo­men­ten, hier trotz­dem ein Text über Her­kunfts-Hei­mat

Text: Julia Kubik

Auf­ge­wach­sen bin ich in Buchs, Wahl­kreis Wer­den­berg, Re­gi­on Rhein­tal, Kan­ton St.Gal­len. Heute, seit über 10 Jah­ren in der Stadt St.Gal­len woh­nend, sag ich meis­tens nur „Rhein­tal“ oder „Chan­cen­tal“(ehe­ma­li­ger Stand­ort-Wer­bes­lo­gan, den viele (Ex-)Rhein­ta­ler:innen hal­b­i­ro­nisch be­nut­zen)wenn mich je­mand fragt, woher ich bin. Es ist in­ter­es­sant zu be­ob­ach­ten, was dann beim Ge­gen­über pas­siert. Meis­tens wird in die­sem Mo­ment mit einer Er­war­tung ge­bro­chen, weil: ich be­we­ge mich haupt­säch­lich in (eher ur­ba­nen) Kunst und Kul­tur-Krei­sen, kann weder Au­to­fah­ren noch ver­tra­ge ich viel Al­ko­hol, hab keine nen­nens­wer­ten Hand­werk­li­chen oder Sport­ver­eins­mäs­si­gen Skills, und einen er­kenn­ba­ren Di­a­lekt hab ich auch nicht, resp. die Rück­stän­de davon haben sich mit der Zeit immer mehr ver­wa­schen. Manch­mal wird dann ge­sagt: „Ah krass, me merkts der gar­nöd aa.“ Das Rhein­tal ge­ni­esst aus­ser­halb sei­ner selbst kei­nen be­son­ders guten Ruf. Es ist be­kannt als rus­ti­ka­le Ge­gend, von In­dus­trie und Land­wirt­schaft ge­prägt, un­schö­ne Ein­fa­mi­li­en­haus-Dör­fer die sich ohne rich­ti­ges Zen­trum an tris­ten Stas­sen ent­lang­zie­hen, schrof­fer Men­ta­li­tät und rau­hem Di­a­lekt. Ein­mal sagte mir einer, den ich erst seit ca. 5 Mi­nu­ten kann­te, bei einer Party in St.Gal­len: „Krass. S’R­hintl isch wie d’USA. Über­all mueme mitem Auto ane und d’Lüt sind vill Gwalt­be­rei­ter. Es isch de rust belt vode Schwiz.“ Ich fand das zwar lus­tig, aber auch ziem­lich über­trie­ben. Zwar gehe ich bei fast allen ne­ga­ti­ven Rhein­tal-Vor­ur­tei­len mit, kann mir nicht vor­stel­len, je­mals wie­der dort­hin zu­rück­zu­zie­hen und bin mit 17 re­la­tiv über­stürzt und ent­schlos­sen weg­ge­zo­gen. (Wenn auch, zu­ge­ge­ben, St.Gal­len nicht rich­tig weit weg ist) Aber mit zu­neh­men­der Di­stanz sehe ich auch kla­rer, was ich dort moch­te. Und ei­ni­ge Dinge ver­mis­se ich. Die Weite der Land­schaft, das brei­te Tal, das Ge­fühl von Platz und Aus­sicht in alle Rich­tun­gen, ob­wohl man von Ber­gen um­ge­ben ist. Die wil­den und weit­läu­fi­gen Teile der Natur. Ein paar sehr liebe Men­schen. Die Stör­che im Riet, die Kies­däm­me am Rhein, die vie­len be­kann­ten Wege und Plät­ze. Den spe­zi­el­len Humor, den das Leben in der Pro­vinz bei man­chen Leu­ten mit der Zeit her­aus­schleift. Über­haupt: der Witz, der in der Spra­che steckt. Viel­leicht wür­den mir das Leute, die nicht da auf­ge­wach­sen sind auch ab­spre­chen(weil wie­ge­sagt: gröss­ten­teils un­be­lieb­ter, rau­her Di­a­lekt), oder als Ver­klä­rung abtun. Aber ich kann nichts da­ge­gen tun, das ich mich freue, und oft amü­sie­re, wenn ich den Di­a­lekt wie­der höre. Er trans­por­tiert ein Le­bens­ge­fühl, das ich schlecht mit Wor­ten be­schrei­ben kann, aber emo­ti­o­nal immer wie­der daran an­knüp­fe. In klei­nen Dosen und mit dem Wis­sen, je­der­zeit wie­der weg­ge­hen zu kön­nen. Long Story short: Beim Ge­dan­ken an rechts­kon­ser­va­ti­ve Po­li­tik, Fas­nachts­bei­zen, Sau­fen und Sport als ein­zig vor­stell­ba­re Frei­zeit­be­schäf­ti­gun­gen, Hells An­gels, Schüt­zen­ver­ei­ne, Au­to­fi­xie­rung und Ge­walt­be­reit­schaft gru­selt mir, und ich bin froh, dort nicht mehr zu woh­nen. Aber wenn ich mit der S-Bahn rich­tung Buchs fahre, das Tal sich wei­tet, und das alte, ex­trem bau­fäl­li­ge Buch­ser Kies­werk hin­ter dem (sehr häss­li­chen)Bahn­hof ins Blick­feld tritt, wird mir warm ums Herz. Und dann spa­zie­re ich zu ir­gend­wel­chen ver­trau­ten Orten, in der Hoff­nung, ein­paar kau­zi­ge Lo­cals er­zäh­len ge­ra­de eine lus­ti­ge Ge­schich­te, und ich kann mich spon­tan da­zu­set­zen.