Text:Jo Glaus
Heimat: Wir alle kennen und nutzen diesen Begriff, doch gibt es eine wirkliche Definition, eine allgemeine Bedeutung zu diesem individuellen Gefühl, das wir zu Hause sein nennen? Immerwieder kommt die Rede auf Heimat, wenn man sich von jemandem verabschiedet, um nach Hausezu gehen, als Werbeslogan für einen lokalen Supermarkt, in einer Diskussion über Einwanderung und so weiter. Dieses Wort fällt einem schnell aus dem Munde, obwohl die wenigsten sagen können, was Heimat wirklich für sie bedeutet. Es gibt kaum einen so undefinierbaren und vielseitigen Begriff, wie diesen in der deutschen Sprache. "Heimat ist ein vermintes Gelände, ein kontaminiertes Feld -in ihrem Namen wurde diskriminiert und gemordet, geschützt und gerettet." (Heimat -zwischen Fürsorge und Verbrechen, 2017)Und doch hat dieser Begriff eine unglaubliche Relevanz erlangt im Angesicht der zahlreichen globalen Herausforderungen, die uns zurzeit bevorstehen. Das Gesprächüber Heimat ist längst überfällig. Vor allem in Krisensituationen, müssen wir auf dieses Gefühl zurückgreifen, um uns vor einem Heimatverlust zu bewahren und lernen, wie wir espräservieren können, ohne dabei derXenophobie zu verfallen. Die Globalisierung hat eine Flutwelle neuer Möglichkeiten mitgebracht und einen Teil der sowohl einschränkenden wie auch schützenden Barrieren mitgeschwemmt. Wie kann man in diesem, sich rapide entwickelnden Zeitalter Heimat finden? Wenn all diese Grenzen neu gesetzt werden müssen, und die Sicherheit nicht nur durch die Menge an negativen Nachrichten, sondern auch durch Reizüberflutung im Interneteingeschränkt wird, ist es schwierig ein Gefühl von Heimat zu erlangen.
Definition
Hei-mat, die
Bedeutungen:
-Land, Landesteil oder Ort, in dem man geborenund aufgewachsen ist oder sich durch ständigen Aufenthalt zu Hause fühlt (oft als gefühlsbetonter Ausdruck enger Verbundenheit gegenüber einer bestimmten Gegend)
-Ursprungs-, Herkunftsland eines Tiers, einer Pflanze, eines Erzeugnisses, einer Technik
Das ist die Definition, die man offiziell im Duden findet, und was wahrscheinlich auch was dem Durchschnittsbürger durch den Kopf geht, wenn er an Heimat denkt. Sehen wir uns die Übersetzung dieses Begriffes auf Englisch oder Französisch an, wird er stark vereinfacht. Sowohl home als auch patrie sind viel eindeutigere Wörter als unsere deutsche Heimat. Auch in deren offiziellen Duden geht es bei diesen Begriffen eher um das Haus, in dem man wohnt, oder das Vaterland.Jedoch istHeimatein vielfältiger und wandelbarer Begriff, der in unserer Geschichte schon gross gelobt und oftmissbraucht wurde.Jeder hat eine andere Antwort auf die Frage: Was bedeutet Heimat für dich? Darunter wiederholen sich Begriffe wie das Vaterland, das Elternhaus oder die Familie, ob man sich diese ausgesucht hat, oder hineingeboren wurde. Doch auch Religion, Kulturen, Kunst und Essen können ein Heimatgefühl hervorrufen. Eines haben all diese Antworten gemeinsam, und daraus können wir unseren ersten und wichtigsten Schluss ziehen.Heimat ist Bindung.
Es ist die Art von Bindung, die nur der Mensch zu einem Subjekt oder Objekt aufbauen kann und die für ein Sicherheits-und Geborgenheitsgefühl sorgt. Eine emotionale Bindung erstellt man automatisch zu einem Objekt, das eine Konstante darstellt im eigenen Leben und dadurch eine viel tiefere Bedeutung erlangt. Es ist die Bindung, die das Stofftier der Kindheit zu einem fast schon unverzichtbaren Gefährten machte, aber auch die Bindung, die man zu seinem Zimmer und seinen Kameradenaufbaut. Was einst eine evolutionäre Überlebenstaktik war, ist nun eine für uns nutzbare Quelle, um Beheimatungen zu erschaffen. ln anthropologischer Hinsicht zeigt die geschichtliche Charakterisierung des Heimatbegriffs das Bedürfnis nach Raumorientierung, entsprechend einem Territorium bei Tieren. Dieses Sicherstellen der Existenz, führt also zu einem Bindungsgefühl, welcheswir bewahren wollen. Heute noch suchen Menschen ein abgesichertes Leben. So können wir auch den nächsten Schluss ziehen, Heimat korreliert stark mit Sicherheit, sei dies auf der Ebene der Grundbedürfnisse, oder auf politischer und sozialer Ebene.Die Entstehung von Heimat, beginnt bereits in der Kindheit. Von dem Moment an, in dem man in die Welt hinausgesetzt wird, hält man sich an Orientierungspunkten fest. Dazu zählen zum Beispiel die Familie, beziehungsweise die Menschen, von denen man umgeben ist, die Sprache oder auch der Ort, an dem wir geboren wurden. ln diesen Punkten können wir oft die uns am stärksten prägenden Heimatfaktoren wiedererkennen. Bildung ist hierbei eine wichtige Grundlage, um auch die Konkretisierung dieser einzelnen Faktoren durch die Geschichte zu verstehen und ihre historische Bedeutung zu erkennen. Somit eignen wir uns individuell im Verlauf unserer Entwicklung, geprägt durch Umwelt, Bildung und Erfahrungen eine Heimat an, Diese Bindungen werden unser Leben langweitergeführt und ausgebaut. Es ist jedoch auch möglich, einen dieser Bezugspunkte zu verlieren. Heimat, dieses Wort ist uns allen meist als positiver Begriff bekannt, doch ihn als solchen zu definieren, würde von der Realität abweichen. lm Namen der Heimat wurde gemordet und diskriminiert. Oft wurde dieser hoffnungsschwangere Begriff zur Waffe umfunktioniert. Es gibt kaum ein bittersüßerer Begriff als Heimat. Heimat funktioniert in den Kampfparolen von xenophoben Rechtspopulisten genauso gut, wie auf der kitschigen Tür Matte, die einlädt einzutreten. Heimat ist ein mentaler Geschmacksverstärker für fragwürdig billige Lebensmittel, die garantiert nicht aus eben diesen ökologisch intakten Idyllenstammen, die sie als Werbebild benutzen.Der Begriff der Heimat ist ein wandelbarer Platzhalter für Sehnsüchte, die man nicht anders beschreiben kann. Das macht eine allgemeingültige Definition schwierig. ln philosophischer Hinsicht kann Beheimatung auch als Prozess der Weltaneignung verstanden werden, durch den der Mensch immer und überall eine für ihn fremde, unwirtliche Welt in ein Zuhause verwandelt. So kann man die Heimat auch als ein Arbeitsprozess verstehen."Man ist nicht nur Kind seiner Heimat, die Heimat wird einem auch zum Kind. Und so, wie man dieses nicht nur hatund sich daranerfreut, trögt man auch die Verantwortung dafür. Wo Bindung ist, ist Verantwortung. (Karin Brandauer, zitiert in Heimat 2020)Heimat ist also nicht nur unser Schutz und Bezugsort, sondern sie ist verwundbar und sollte aktiv aufrechterhalten werden. Bindungen bleiben nur dann stark, wenn man sie pflegt. Menschliche Beziehungen, das Führen eines Haushaltes, das Lesen einer Lektüre,das Besuchen einer Kirche, all diese Dinge müssen ausgeführt und gepflegt werden. Sie können dafür die Sicherheit und Eingebundenheit in diese Welt für uns aufbauen.
Die einzige Definition, die ich schlussendlich allgemein hinstellen kann, ist, dass Heimat eine Begleiterscheinung einer starken Bindung ist, die eine Geborgenheit und ein Sicherheitsgefühl auslöst. Zu welchem Bezugspunkt diese Bindung besteht, ist nicht relevant.
Was löst das Gespräch über Heimat aus?
Warum spricht man so selten über Heimat?
Sich Fragen darüber zu stellen, was die persönliche Bedeutung dieses Begriffes ist, kann der eigenen Psyche ein starkes Gerüst verleihen. Bei einem Umbruch in einer Biografie, welcher durch grosse persönliche Erschütterungen auftreten kann, entfaltet diese Selbstbefragung eine praktische Bedeutung. Hierbei bricht eine fundamentale Zugehörigkeit unwiederbringlich weg. ln solchen Situationen erweist es sich als hilfreich, wenn man sich seinen verschiedenen Beheimatungen explizit bewusst wird. Heimat kann sich nämlich auf den verschiedensten Ebenen zeigen. Wenn man sich diese vergegenwärtigt, gibt man dem Gefühl der Heimatlosigkeit weniger Macht. So gelingt einem zunehmend die Relativierung der Verlustängste oder des Verlustes. Wenn man diese nicht immer offensichtlich begleitenden Quellen bewusst betrachtet, eröffnet sich eine neue, philosophische Lebensweise.Leider wird eben dieses Gespräch zu selten geführt und so bleiben die verschiedenen Aspekte der Heimat unsichtbar. Vor allem jetzt, wo uns weltweite Krisen gegenüberstehen, sowie die Globalisierung in Verbundenheit mit der Verbreitung des Internets, versuchen sich die Menschen abzuschotten und zurückzukehren in das Bekannte. Die Angst vor dem Verlust der Sicherheit undder Zugehörigkeit verbreitet sich rasant. Genau dies führt zur Bildung von kleineren extremen Gruppen, die durch politische, soziale oder auch andere Faktoren verbunden sind. So zerbricht unsere Welt in opponierende Fragmente, die gegeneinander arbeiten.Dieses Phänomen kann man in Amerika anschaulich betrachten. Die liberalen und konservativen Meinungsbilder konkurrenzieren miteinander. Oft wird schon eine politische Haltung mit in die Wiege gelegt. Kinder aus diesen Haushalten wachsen mit grossem Misstrauen gegenüber der opponierenden Seite auf. Die Trennung der Bevölkerung aufgrund dieser zwei Merkmalen ist in den USA markant und mit viel Hass verbunden. Wie Pinguine auf auseinanderbrechenden Eisschollen rücken wir näher zusammen, angesichts der drohenden Auflösung bislang bekannter und sicherheitsgebender Grenzen. Diese Transformation, die wir durchlaufen in der Moderne, dem Internet Zeitalter, beeinflusst die bisherige Wahrnehmung von Heimat auf allen Ebenen. Vielen fällt es schwer sich den rasanten Veränderungen anzupassen und ihr Sicherheitsgefühl zu garantieren. Somit stehen sie vor einem Heimatverlust, mit dem sie nicht umgehen können. Allein schon durch das Bewusstsein darüber, warum ein Mensch in solche Muster der kleinkarierten Trennungen verfällt, würde es besser gelingen eine Gemeinschaft zu bilden, die über eine Familie oder gar ein Dorf hinausgeht. Man kann sich dem Aufbau einer neuen Heimat zuwenden, auf einer Ebene, die einem zu diesem Zeitpunkt zugänglich ist. Es eröffnet die Möglichkeit sich überall eine Heimat zu schaffen, ausgenommen von Orten mit prägnant einschränkenden, externen Faktoren. Martin Heidegger beschreibt dieses Phänomen als ein an die Welt verfallen sein. So passiert eine ständige Bewegung vom Unzuhause sein weg, in die sinngedeutete und dadurch lebbare Welt, das Zuhause. Es ist die Flucht vor der beängstigenden Wahrheit, ins nichts der Welt hinausgesetzt zu sein, was unser Urzustand beschreibt. So beginnt man sich zum Selbstschutz zu objektivieren; er beschreibt es als ein ans man verfallen. Es ist einfach, einen Satz auszusprechen, der mit einem man als Subjekt funktioniert. Es nimmt uns jedoch, die Verantwortung, die jeder für sein eigenes Leben trägt. Denn nur du kannst und musst dein Leben leben, diese Aufgabe kann dir niemand abnehmen.
Wir benutzen das man also, um dieserJemeinigkeitzu entfliehen. Es ist einfacher als sich wirklich mit dem Unzuhause, wie auch dem Zuhause sein auseinanderzusetzen.Doch auch wenn das erschreckende Bewusstsein dieser Faktoren, die das Leben diktieren, erst zu einer Überforderung führt und einem Rauswurf aus der von uns lebbar gemachten Welt, dem Zuhause, eröffnet einem dieser Einblick in das Unsichtbare eine ganz neue Form von Heimateine Form, die weniger gemütlich ist, doch der absoluten Wahrheit unserer Welt näherkommt und somit in jeder Lebenslage ein Zuhause darstellen kann, sobald man sie erkannt und gelernt hat mit ihr umzugehen und sie zu schätzen.