Interview: Timo Züst
An der 113. Hauptversammlung des Ausserrhoder Heimatschutzes wählten die Mitglieder eine neue Obfrau: Irene Hochreutener. Die Kunsthistorikerin ist seit 18 Jahren Teil des Vorstands – und nun auch Präsidentin. An der Kulturlandsgemeinde spricht sie über Baukultur. Und mit HEIP redet sie über Heimat-gefühle, Stammtisch-Kritik und die Herausforderungen der Verdichtung.
Frau Hochreutener, was ist eigentlich Heimat?
Eine philosophische Frage.
Kommt drauf an, wie man sie beantwortet.
Ich glaube, Heimat ist in erster Linie eine Empfindung. Zum 100-jährigen Jubiläum des Ausserrhoder Heimatschutzes im Jahr 2010 baten wir unsere Mitglieder um Fotos von ihrer «Heimat». Bekommen haben wir alles Mögliche: eine Katze auf einem Fenstersims, ein Kiosk, ein klassisches Appenzellerhaus, ein Kachelofen. Heimat im Sinne des Heimatschutzes beruht auf einem Konsens, betreffend einer identitätsstiftenden Kultur, einer Baukultur im Speziellen.
Was würden Sie fotografieren?
Aus meiner Optik als Obfrau des Heimatschutzes würde ich in eine Streusiedlung hinein fotografieren. Im Idealfall wäre auf dem Foto ein altes Appenzellerhaus und ein neues, das die traditionelle Bauweise aufgreift und neu interpretiert, zu sehen.
Damit hätten wir den ersten Teil des Wortes «Heimatschutz» kurz definiert. Was ist mit «Schutz»? Müssen wir unsere Heimat wirk-lich schützen?
Davon bin ich fest überzeugt.
Warum?
Ich spreche hier natürlich in erster Linie von der Baukultur. Da braucht es einen gewissen Schutz vor monetären und individualistischen Motiven. Gäbe es keinen Schutz, würden wir unsere Landschaften nach und nach verlieren.
Ursprünglich war der Heimatschutz auch als Naturschutz-organisation gegründet worden. Spielt das noch eine Rolle?
Natürlich. Heimat beinhaltet immer auch die Landschaft, die Natur und das Brauchtum. Der Heimatschutz arbeitet heu-te mit den eigenständigen Fachverbänden zusammen. Mit Pro Natura verkaufen seit 1946 den Schoggitaler. In diesem Jahr geht der Erlös in die Förderung der Naturvielfalt vor der Haustür. Die Trachtenvereinigung Was schützt der Heimatschutz überhaupt?ging 1926 aus der Trachten- und Volksliedkommission des Heimat-schutzes hervor. Die Trachtenstube Teufen feierte unlängst ihr 25 Jahr Jubiläum. Die Raum- und Landschaftsplanung ist nach wie vor ein Kernthema. Und dieses ist eng verbunden mit der Nachhaltigkeit. Wir stehen voll hinter der Energiestrategie des Kantons.
Teil dieser Strategie ist die Nutzung erneuerbarer Energien – zum Beispiel Wind. Wie denkt der Heimatschutz über die Idee von Windrädern auf der Waldegg?
Dazu kann ich noch nicht viel sagen. Die Beurteilung von Windkraft-Projekten gehört nicht zu meiner Kernkompetenz. Wir werden uns deshalb sicher auch mit den Naturschutzverbänden absprechen und dann braucht es eine Interessensabwägung. Die für die Erstellung eines Windrades notwendige Infrastruktur wie Fundationen, Strassen etc. sollte man nicht unterschätzen. Das muss genau geprüft werden.
Wenn innerhalb der Bauzone und nach Vorschrift gebaut wird, ist die Bauherrschaft bei der Gestaltung sehr frei. Bräuchte es da eine andere Handhabung? Oder generiert das bloss zu viel Bürokratie?
Bürokratie ist wohl der falsche Ausdruck. Es braucht ein Engagement von den Gemeinden und ein Bekenntnis zur Baukultur. Teufen hat das FAOT – das ist schon viel. Gerade bei Projekten ausserhalb der geschützten Ortsbilder könnte die Beratung durch ein solches Gremium einiges bewirken.
Sicher haben Sie die Headline auch gelesen: Eine Schweiz mit 11,4 Mio. Einwohnenden. Sie sollen alle in den heutigen Bauzonen Platz finden. Läuft es Ihnen da kalt den Rücken runter?
Nicht unbedingt. Entscheidend ist hier das Raumplanungsgesetz. Es legt fest, wie wo gebaut werden soll. Bauzonen eignen sich im Grundsatz für die Verdichtung, die Land-wirtschaftzonen nicht. Die Er-schliessung des Streusiedlungsgebiets macht eigentlich schon aus ökonomischer Sicht wenig Sinn. Da sollte das Raumplanungsgesetz nicht aufgeweicht werden. Und Innenentwicklungs-konzepte zeigen regelmässig, dass die Dichte in historisch wertvollen Dorf- und Stadtkernen in der Regel sehr hoch ist. Daher werden wir die Lösung für die drohende Wohnungsnot nicht in den geschützten Ortsbildern und nicht in den Streusiedlungsgebieten finden.
Das klingt ein bisschen nach Zweiklassen-Gesellschaft: Wenn man Glück hat, lebt man in einer Streusiedlung mit viel Platz. Sonst wird man «verdichtet».
Das sehe ich überhaupt nicht so. Zum Glück sind wir Menschen sehr unterschiedlich: Die einen suchen wirklich das Leben in der Streusiedlung. Andere schätzen eine historische Wohnumgebung und wieder andere bevorzugen eine moderne Eigentumswohnung, die weniger Pflegeaufwand verspricht.
Da wären wir bei der «Kontrollfunktion» des Heimatschutzes. Er geniesst nicht unbedingt den besten Ruf. Oft wird von ihm als Verhinderer gesprochen. Spüren Sie viel von dieser Kritik?
Ich nehme das ehrlich gesagt nicht so wahr. Das gilt auch für meine Arbeit bei der Denkmalpflege, die diesen Ruf ja teilt. Natürlich: Wenn eine Bauherrschaft sich mit ihrem Projekt wegen uns noch einmal auseinan-dersetzen muss, ist das im Mo-ment nicht einfach. Aber später sind sie uns auch oft dankbar, weil das Projekt deutlich verbessert werden konnte. Ich ver-mute, der Ruf der Verhinderer stammt hauptsächlich von Stammtisch-Runden. Dort spricht man halt eher selten von den Erfolgsgeschichten.
Vielleicht gibt man als Bauherrschaft auch nur ungern zu, dass die Ansätze von «jemand anderem» zu einem besseren Resultat geführt haben.
Das ist möglich. Was bei dieser Diskussion oft vergessen geht, ist unsere kostenlose Erstberatung. Von ihr kann jeder profitieren – inkl. einer allfälligen Begehung vor Ort. Das ist eine tolle Dienstleistung. Einsprachen ermöglichen es uns leider erst spät mit der Bau-herrschaft ins Gespräch zu kommen. Dasselbe gilt für Projekte in der Bauzone, da schreiben wir kritische Hinweise zuhanden der Baubewilligungsbehörde. Damit arbeiten wir mit an einer hochstehenden Baukultur.
Ein aktuelles Thema des Ausserrhoder Heimatschutzes sind die «neueren alten Bauten». Plumpe Frage: Wurde nach 1930 überhaupt etwas gebaut, das schützenswürdig wäre?
In Ausserrhoden vielleicht etwas weniger als anderswo (lacht). Nein, ernsthaft: Natürlich gibt es Gebäude aus der Kriegs- und Nachkriegszeit, die architektonisch von grosser Bedeutung sind.
Vielleicht denken wir in 100 Jahren auch anders über die «grusigen» 60er- und 70er-Jahre-Häuser.
Das ist sehr gut möglich. Oft schenken wir diesen Bauten wenig Beachtung, so lange sie wie selbstverständlich hier stehen. Ein Beispiel wäre die Teufner Post. Auch solche Funktionsbauten haben durchaus eine Geschichte und tragen zum Ortsbild bei.
Generell wird heute aber schon eher abgebrochen und neu gebaut, statt intensiv saniert.
Diese Entwicklung macht uns Sorgen. Wir finden es falsch, dass das Raumplanungsgesetz den Ersatzbau in der Landwirtschafts-zone vereinfacht hat. Natürlich stimmt es, dass moderne Bauten im Unterhalt weniger Energie verbrauchen. Aber dabei geht vergessen, dass ein beachtlicher Teil der «Lebensemissionen eines Hauses» bereits beim Bau entstehen – an die 50 Prozent. Deshalb weisen historische Häuser auch eine sehr gute Öko-Bilanz auf, nur schon wegen ihrer grossen Lebensdauer. Und da die traditionellen Häuser in unserem Kanton aus Holz bestehen, binden sie sogar noch CO2.
Also am besten keine Neubauten?
Es wird immer Neubauten brauchen. Insbesondere im Hinblick auf das Bevölkerungswachstum. Der Heimatschutz ist nicht generell gegen neue Projekte – sie sind nötig und wichtig. Es gibt viele Beispiele für sehr gute und architektonisch wertvolle Bauten, die in den letzten Jahren entstanden sind. Aber bevor etwas abgerissen wird, sollte genau hingeschaut werden. Hier passt ein Zitat von Salomon Schlatter (1858–1922), der 1922 für den Heimatschutz das Büchlein ‘Das Appenzellerhaus und seine Schönheiten’ verfasst hat, doch sehr gut: «Prüfet alles und behaltet das beste.»