Text: Julia Kubik
Der Körper ist eine Schicksalsheimat. Warum tut sich die Gesellschaft so schwer damit, verschiedene Körper(-bilder) zu akzeptieren? Was heisst Arbeit am Körper in einer Leistungsgesellschaft? Wie verändert die Mode unser Verhältnis zum Körper? Und wie geht man damit um, wenn die körperliche Heimat zerfällt?
Der Samstag ist der dichteste Kulturlandsgemeindetag: immer ist überall etwas los. Kurz nachdem die leeren Teller und das grossartige Mittagsbuffet abgeräumt wurden, beginnt die Zweite Plattform. Thema: Heimat als Körper und Hülle.
Moderatorin Corinne Riedener spricht mit den Gästen Fabienne Luna Egli, Christoph Keller, Jana Sophie Roost und Ly-Ling Vilaysane. Eine sehr vielseitige Runde. Egli ist Grafikerin, Illustratorin und Kurzfilmanimatorin. Ihre transgeschlechtlichkeit und eine Autismus-Spektrumsstörung haben sie in ihrem Leben dazu gezwungen, sich mit Körper und Psyche intensiv auseinanderzusetzen. Keller ist Autor zahlreicher preisgekrönter Romane, unter anderem «Ich hätte das Land gern flach», «Der beste Tänzer» und «Der Boden unter den Füssen». Er hat die Krankheit spinale Muskelatrophie, bei der sich die Muskeln zunehmend abbauen, und ist deswegen auf einen Rollstuhl angewiesen. Roost schrieb vor kurzem ihre Maturaarbeit zum Thema «Bulimie und Magersucht im Leistungssport». Dabei zeigte sie die Zusammenhänge zwischen dem Verlauf von Essstörungen und körperlichem Leistungsvermögen auf. Vilaysane führt eine Modeboutique in St.Gallen und setzt sich in ihrem Alltag viel mit den Körperwahrnehmungen(ob reale oder gewünschte) ihrer Kund*innen auseinander. Ihr Credo: man muss sich in seinen Kleidern wohlfühlen.
Die Einstiegsfrage lautet: „Was braucht ihr, um euch wohl und zuhause zu fühlen?“
„Bei mir gehören Körper und Geist sehr eng zusammen. Nähre ich den Geist angemessen, geht es meistens auch dem Körper gut“, lautet Eglis Antwort. Jana sagt, sie fühlt sich am wohlsten, wenn sie von Freund:innen und Familie umgeben ist. Keller meint, am besten sei ausgeschlafen sein, mit dem Hund rollen gehen und ein gemütliches Nachmittags-Bier. Und Vilaysane antwortet schlicht: „wenn ich mich wohlfühle, fühle ich mich meistens auch zuhause.“
Thematisch geht es von aussen nach innen, also recht früh zum Thema Körper-Hülle, an-kleiden und ver-kleiden. Vilaysane erzählt, das viele ältere Frauen, die zu ihr ins Atelier kämen, ihr Fragen stellen wie: Darf man meine Knie und Ellbogen noch sehen? Oder sind sie zu schrumpelig, zu unschön geworden? Muss ich mich verhüllen? Können Sie mir die Ärmel verlängern, damit man nichts von meinen Armen sieht?
Natürlich würde sie die Wünsche ihrer Kundinnen bestmöglich umsetzen, aber manchmal wünschte sie sich auch, vorallem für diese Frauen selbst, sie hätten ein entspannteres Verhältnis zu ihrem Körper. „Ist doch normal, das sich der Körper im Alter verändert. Damit ist niemand allein. Jedesmal, wenn ich in Italien am Strand bin und sehe, wie cool und freizügig viele Frauen dort mit ihren alternden Körpern umgehen, wünschte ich mir, das wäre hier ein bisschen mehr so. Weil wer sich wohl fühlt, hat automatisch eine schöne Ausstrahlung.“
Egli: „Für mich hat Kleidung viel mit Kommunikation nach aussen zu tun. Also wenn ich z.b. ein Star Wars-Tshirt trage, dann will das auch sagen: ja, du darfst mich gerne auf Star Wars ansprechen. Ich bin dann ein bisschen wie eine Litfasssäule.“
Keller sagt zum Thema Kleidung über sich selbst, er sei „modisch eher unbegabt“ und fragt Visaysane um Rat, die aber nur antwortet, das er eh schon alles richtig mache, wenn er sich in seiner Kleidung wohlfühle.
Egli erzählt, das sie in ihrem Körper viel mehr zuhause ist, seit dieser operativ so angepasst wurde, wie sie sich innerlich schon immer fühlte. Und plädiert allgemein dafür, das streng binäre System und veraltete Körperlider und Rollenmuster abzuschaffen, da sie viel mehr Leid als gutes verursachen und den Schönheits-und Normierungsdruck erhöhen-auch bei Cis-Menschen. Sie sieht da aber leider derzeit einen gesellschaftlichen und politischen Backlash. Und ist in der Runde nicht allein mit dieser Sicht.
Roost sagt, das es ein Irrtum sei, das nur oder vorallem junge Frauen unter Essstörungen und verzerrter Selbstwahrnehmung leiden. Junge Männer hätten oft ein ebenso gestörtes Körperbild, nur geht es meistens in eine andere ästhetische Richtung: grosse, sichtbare Muskeln um (fast) egal welchen Preis.
Alle sind sich einig: normierte Schönheitsideale sind eigentlich komplett veralteter Quatsch. Aber trotz jüngeren medialen Bewegungen, wie #bodypositivity oder auch das etwas niedrigschwelligere #bodyneutrality, sind sie nicht leicht aus unseren Köpfen zu kriegen.
Keller vermutet hinter dem Schönheits,-und Selbstoptimierungsdruck eine grosse, uralte und allgemeine Angst vor dem fremd-sein und anders-sein. Man fühle sich vermeindlich vordergründig wohler wenn man nicht auffällt, sich anzupassen weiss. Aber er plädiert stark fürs anders-sein. „Das ist viel spannender!“
Überhaupt ist diese Gesprächsrunde insgesamt sehr wholesome: immer wieder findet man sich beim Punkt, das Körper nunmal sehr verschieden sind. Und wir das viel eher wertschätzen als problematisieren sollten. Oder, um Visaysane zu zitieren: „Wir sind alle gleich anders. Das ist ja das schöne.“
Zum Schluss fragt Riedener alle, was sie als Lebensmittel oder Menü gerne wären.
Weil: Heimat ist immer auch essen, wenn es um Körper geht sowieso.
Corinne Riedener: Suppe mit süssaurem Gemüse drin
Jana Sophie Roost: Raclette (Facettenreich, viele Kombinationsmöglichkeiten)
Christoph Keller: richtig guter, bunter Salat
Fabienne Luna Egli: Zweigänger: zuerst Pizza Hawaii, dann Himbeeren mit Vanilleglace
Ly-Ling Vilaysane: Maki-Sushirolle