24. Mai 2023, 17.59 Uhr

Wir sind alle gleich an­ders

Text: Julia Kubik

Der Kör­­­per ist eine Schick­­­sals­hei­­­mat. Warum tut sich die Ge­­­sell­­­schaft so schwer damit, ver­­­­­schie­­­de­­­ne Kör­­­per(-bil­­­der) zu ak­­­zep­tie­ren? Was heisst Ar­­­beit am Kör­­­per in einer Leis­tungs­­­­­ge­­­sell­­­schaft? Wie ver­­­än­­­dert die Mode unser Ver­­­häl­t­­­nis zum Kör­­­per? Und wie geht man damit um, wenn die kör­­­per­­­li­che Hei­­­mat zer­­­fällt?

Der Sams­­tag ist der dich­tes­te Kul­tur­­lands­­ge­­mein­­de­­tag: immer ist über­­all etwas los. Kurz nach­­dem die lee­ren Tel­­ler und das gross­a­r­ti­­ge Mit­­­tags­­buf­­fet ab­­ge­räumt wur­­den, be­­ginnt die Zwei­te Plat­t­­form. Thema: Hei­­mat als Kör­­per und Hülle.

Mo­­de­ra­to­rin Co­rin­­ne Rie­­de­­ner spricht mit den Gäs­ten Fa­­bi­en­ne Luna Egli, Chri­s­toph Kel­­ler, Jana So­­phie Roost und Ly-Ling Vilay­sa­­ne. Eine sehr viel­­sei­ti­­ge Runde. Egli ist Gra­­­fi­ke­rin, Il­lus­tra­to­rin und Kurz­­­­­fil­m­a­­­ni­­­ma­to­rin. Ihre trans­­­ge­schlecht­­­lich­keit und eine Au­tis­mus-Spek­trums­s­tö­rung haben sie in ihrem Leben dazu ge­zwun­­­gen, sich mit Kör­­­per und Psy­che in­­ten­­siv aus­­­ein­an­­­der­­­zu­­­set­­­zen. Kel­­ler ist Autor zahl­rei­cher preis­­­ge­­­krön­ter Ro­­­ma­­­ne, unter an­­­de­rem «Ich hätte das Land gern flach», «Der beste Tän­­­zer» und «Der Boden unter den Füs­­­sen». Er hat die Krank­heit spi­na­le Mus­ke­la­tro­­phie, bei der sich die Mus­keln zu­­neh­­mend ab­­bau­en, und ist des­we­­gen auf einen Roll­­stuhl an­­ge­wie­­sen. Roost schrieb vor kur­z­em ihre Ma­tu­ra­a­r­­­beit zum Thema «Bu­­­li­­­mie und Ma­­­ger­­­sucht im Leis­tungs­­­s­­port». Dabei zeig­te sie die Zu­­­sam­­­men­hän­­­ge zwi­­­schen dem Ver­­­lauf von Ess­­­stö­run­­­gen und kör­­­per­­­li­chem Leis­tungs­­­­­ver­­­mö­­­gen auf. Vilay­sa­­ne führt eine Mo­­de­­bou­ti­que in St.Ga­l­len und setzt sich in ihrem All­­tag viel mit den Kör­­per­­wahr­­neh­­mun­­gen(ob reale oder ge­wün­sch­te) ihrer Kun­d*in­­nen aus­­ein­an­­der. Ihr Credo: man muss sich in sei­­nen Klei­­dern wohl­­füh­len.

Die Ein­­stiegs­fra­­ge lau­tet: „Was braucht ihr, um euch wohl und zu­hau­­se zu füh­len?“

„Bei mir ge­hö­ren Kör­­per und Geist sehr eng zu­­sam­­men. Nähre ich den Geist an­­ge­­mes­­sen, geht es meis­tens auch dem Kör­­per gut“, lau­tet Eglis Ant­wort. Jana sagt, sie fühlt sich am wohls­ten, wenn sie von Freund:innen und Fa­­mi­­lie um­­­ge­­ben ist. Kel­­ler meint, am bes­ten sei aus­­­ge­schla­­fen sein, mit dem Hund rol­len gehen und ein ge­­müt­­li­ches Nach­­mit­­tags-Bier. Und Vilay­sa­­ne ant­wor­tet schlicht: „wenn ich mich wohl­­füh­le, fühle ich mich meis­tens auch zu­hau­­se.“

The­­ma­tisch geht es von aus­­­sen nach innen, also recht früh zum Thema Kör­­per-Hülle, an-klei­­den und ver-klei­­den. Vilay­sa­­ne er­­zählt, das viele äl­te­­re Frau­en, die zu ihr ins Ate­­li­er kämen, ihr Fra­­gen stel­len wie: Darf man meine Knie und Ell­­bo­­gen noch sehen? Oder sind sie zu schrum­­pe­­lig, zu un­­­schön ge­wor­­den? Muss ich mich ver­­hül­len? Kön­­nen Sie mir die Ärmel ver­­län­­gern, damit man nichts von mei­­nen Armen sieht?

Na­tür­­lich würde sie die Wün­­sche ihrer Kun­­din­­nen best­mög­­lich um­­­set­­zen, aber man­ch­­mal wün­sch­te sie sich auch, vor­­a­l­lem für diese Frau­en selbst, sie hät­ten ein ent­­spann­te­res Ver­­häl­t­­nis zu ihrem Kör­­per. „Ist doch nor­­mal, das sich der Kör­­per im Alter ver­­än­­dert. Damit ist nie­­mand al­lein. Je­­des­­mal, wenn ich in Ita­­li­en am Strand bin und sehe, wie cool und frei­­­zü­­gig viele Frau­en dort mit ihren al­tern­­den Kör­­pern um­­­ge­hen, wün­sch­te ich mir, das wäre hier ein biss­chen mehr so. Weil wer sich wohl fühlt, hat au­to­­ma­tisch eine schö­­ne Ausstrah­­lung.“

Egli: „Für mich hat Klei­­dung viel mit Kom­mu­­ni­­ka­ti­on nach aus­­­sen zu tun. Also wenn ich z.b. ein Star Wars-Ts­hirt trage, dann will das auch sagen: ja, du darfst mich gerne auf Star Wars an­spre­chen. Ich bin dann ein biss­chen wie eine Lit­fass­­säu­le.“

Kel­­ler sagt zum Thema Klei­­dung über sich selbst, er sei „mo­­disch eher un­­­be­­gabt“ und fragt Vi­say­sa­­ne um Rat, die aber nur ant­wor­tet, das er eh schon alles rich­tig mache, wenn er sich in sei­­ner Klei­­dung wohl­­füh­le.

Egli er­­zählt, das sie in ihrem Kör­­per viel mehr zu­hau­­se ist, seit die­­ser ope­ra­tiv so an­­ge­passt wurde, wie sie sich in­­­ner­­lich schon immer fühl­te. Und plä­­diert all­­ge­­mein dafür, das streng bi­näre Sys­tem und ver­­a­l­te­te Kör­­per­­li­­der und Rol­len­mus­ter ab­­zu­­schaf­­fen, da sie viel mehr Leid als gutes ver­­ur­sa­chen und den Schön­heits-und Nor­­mie­rungs­­­druck er­hö­hen-auch bei Cis-Men­­schen. Sie sieht da aber lei­­der der­­zeit einen ge­­sell­­schaft­­li­chen und po­­li­ti­­schen Back­lash. Und ist in der Runde nicht al­lein mit die­­ser Sicht.

Roost sagt, das es ein Irr­tum sei, das nur oder vor­­a­l­lem junge Frau­en unter Ess­­stö­run­­gen und ver­­­zerr­ter Selbst­­wahr­­neh­­mung lei­­den. Junge Män­­ner hät­ten oft ein eben­­so ge­­stör­tes Kör­­per­­bild, nur geht es meis­tens in eine an­­de­­re äs­the­ti­­sche Rich­tung: gros­­se, sicht­­ba­­re Mus­keln um (fast) egal wel­chen Preis.

Alle sind sich einig: nor­­mier­te Schön­heits­­i­de­a­le sind ei­­gent­­lich kom­plett ver­­a­l­te­ter Quatsch. Aber trotz jün­­ge­ren me­­di­a­len Be­we­­gun­­gen, wie #bo­dy­­po­­si­ti­vi­­ty oder auch das etwas nie­d­­rig­schwel­­li­­ge­­re #bo­dy­­neu­tra­­li­­ty, sind sie nicht leicht aus un­­­se­ren Köp­­fen zu krie­­gen.

Kel­­ler ver­­mu­tet hin­­ter dem Schön­heits,-und Selbst­op­ti­­mie­rungs­­­druck eine gros­­se, ur­a­l­te und all­­ge­­mei­­ne Angst vor dem fremd-sein und an­­ders-sein. Man fühle sich ver­­­mein­d­­lich vor­­­der­­grün­­dig woh­­ler wenn man nicht auf­­­fällt, sich an­­zu­pas­­sen weiss. Aber er plä­­diert stark fürs an­­ders-sein. „Das ist viel span­­nen­­der!“

Über­­haupt ist diese Ge­sprächs­run­­de in­s­­ge­­samt sehr who­le­­so­­me: immer wie­­der fin­­det man sich beim Punkt, das Kör­­per nun­­mal sehr ver­­­schie­­den sind. Und wir das viel eher wer­t­schät­­zen als pro­ble­­ma­ti­­sie­ren soll­ten. Oder, um Vi­say­sa­­ne zu zi­tie­ren: „Wir sind alle gleich an­­ders. Das ist ja das schö­­ne.“

Zum Schluss fragt Rie­­de­­ner alle, was sie als Le­­bens­­mit­tel oder Menü gerne wären.

Weil: Hei­­mat ist immer auch essen, wenn es um Kör­­per geht so­wie­­so.

Co­rin­­ne Rie­­de­­ner: Suppe mit süs­sau­rem Ge­­mü­­se drin

Jana So­­­phie Roost: Ra­clet­te (Fa­­cet­ten­reich, viele Kom­­bi­na­ti­­ons­mög­­lich­kei­ten)

Chri­s­toph Kel­­ler: rich­tig guter, bun­ter Salat

Fa­­bi­en­ne Luna Egli: Zwei­­gän­­ger: zu­erst Pizza Ha­waii, dann Him­­bee­ren mit Va­­nil­leglace

Ly-Ling Vilay­sa­­ne: Maki-Su­s­hi­rol­le