Text: Jo Glaus
Mögen Sie Ihren Namen? Haben Sie das Gefühl, Sie würden sich in einem anderen Vornamen stärker zu Hause fühlen? Was für einen Einfluss hat die Sprache auf Bindungsmöglichkeiten, welchen die Musik? Was verbindet, was zerteilt und wie kommen wir zueinander zurück?
Solche und weitere Fragen wurden bei der Plattform 1 «Heimat als Gefühl und Identität» mit Yvonne Apiyo Brändle-Amolo, Matthias Weishaupt, Hoseyn A. Zadeh und Peter Surber behandelt.
Den Namen zu mögen, ist schwierig, wenn niemand ihn richtig aussprechen kann. (Lektüren-Tipp: Das Kinderbuch «Chrysanthemum») Er läuft einem voraus, das Kulturgut herausschreiend. Man kann ihm nicht ausweichen. Darum ist es wichtig sich darin wohl und heimisch zu fühlen.
Alle Beteiligten der Diskussion tragen mehrere Namen. Die von Kindern verpatze Version und Abgekürzten Mittelnamen, der alte Pfadiname «Kaa» nach der Schlange aus dem Dschungelbuch, und die vielen verschiedenen, aus den unterschiedlichen kulturellen Heimaten.
Yvonne ist aus Liebe in die Schweiz gekommen und aus Liebe in der Schweiz geblieben. Trotz allen Hindernissen hat sie sich einen Weg gebahnt und ist Heute tätig als Gemeinderätin, interkulturelle Mediatorin und Kuratorin.
Was ihr das Leben in der Schweiz zu beginn erleichterte: Sie hat Jodeln gelernt. So konnte sie die Brücke zu der ihr fremden Kultur über ein vertrautes Medium schlagen und Ähnlichkeiten zwischen Schweizerischer und Kenianischer Kultur entdecken.
Im Stamm der Luo (nitolischsprachige Ethnie am Victoriasee) werden die Menschen mit verschiedenen bedeutungsstarken Namen benannt. Bei ihr ist einer davon Rosetta, nach der Rock n’ Roll Ikone, welche Grenzen überschritt und Barrieren niederschmetterte. Oder Yvonnes Liebling; Apiyo, die Pionierin, geerbt von ihrer Grossmutter.
Die Vielzahl der Namen hat auch eine praktische Relevanz, zum Beispiel bei der (polygamen) Partnersuche. Aus dem Namen kann man die familiären Verhältnisse lesen, um zu vermeiden sich mit Verwandten zu liieren.
Ist es auch bei uns so, dass man aus einem Namen viel heraus liest? Bevor man eine Person kennenlernet, gibt es schon eine erste Barriere, welche zu stereotypisierenden Schlussfolgerungen führen kann.
Bei einem Job-Interview hat Yvonne eine solche Erfahrung gemacht. Im Wartezimmer wurde sie mit Brändle, dem Nachnamen des Ex-Mannes aufgerufen und trotz aufgesteckter Hand nicht wahrgenommen, weil sie gemäss den Worten der Sekretärin «nicht wie eine Yvonne Brändle aussieht.»
Dieser (nicht so) subtile Alltagsrassismus ist keine Seltenheit. Viele Menschen haben leider die Tendenz, hart und schnell zu werten. Sind solche, in kleine Schubladen einsortierte Informationen, eigentlich gut fürs Gemüt?
Matthias Weisshaupt, ein Schweizer Ureinwohner und ehemaliger Ausserrhoder Regierungsrat, bekennt, dass das Appenzell keine spezifische Kultur pflegt, in welcher man anderen besonders offen begegnet. Es sei die Verantwortung der Politik, diese Bildungslücken zu schliessen und die Integration, wie auch die Beteiligung zu fördern. Die Tür zu einer anderen Kultur ist nicht einfach betretbar. Der Schlüssel liegt nicht in der Hand einer Einzelperson. «Wir sollen aufhören mit einem Heimatbegriff, der ausgrenzend ist»
Was könnten wir bewirken, wenn wir den Begriff der Heimat nicht mehr als politisierte Waffe nutzen, sondern als Basis, um alle Bürger*innen der Welt mit ihren Eigenheiten zu vereinen? Klar ist: Dazu braucht es Lückenschliesser*innen und Brückenbauer*innen.
Hoseyn A. Zadeh zeigt in einem typographischen Workshop, welcher schon an mehr als 30 internationalen und nationalen Ausstellungen stattfand und nun auch an der Kulturlandsgemeinde, eine neue Verbindungsmöglichkeit des persisch-arabischen mit dem lateinischen Alphabet.
Sprache schafft Heimat. Seine Flucht aus dem Iran und das Ankommen in der Schweiz waren geprägt von Verlust und Sehnsucht. Er erzählt von Strassen und Wänden, die er vermisst. Die aber gleichzeitig sowieo nicht mehr so existieren, wie er sich an sie erinnert. „Es gibt diese Stimmung dort nicht mehr, so wie ich sie kannte.“ Auch seine Freunde gehören nicht mehr in diese Strassen in Teheran, die er kannte und mochte. Sie haben sich verstreut. Trotzdem hat er zum Begriff Heimat eine positiven Einstellung.
«Eine richtige Heimat habe ich nicht. Es ist jedenfalls kein fixer Ort. Ich bin dort zuhause, wo meine Füsse auf dem Boden stehen»
Alle drei vereinen auf ihre Art Kulturen und Menschen. In der Politik, in der Musik, im Schreiben und im Daheimsein.
Heimatverlust
ln einer Studie von 2016 vom Stapferhaus Lenzburg zeigt sich, dass mehr als die Hälfte der Befragten Personen fühlen, ihre Heimat sei bedroht. lmmer mehr Menschen folgen dieser Bewegung der Verlustangst, die aus relevanten und oft universellen Quellen stammen, wie der Klimawandel, politische Konflikte, Kriege, der Umgang mit der Globalisierung.
Historisch betrachtet, wurde das Thema schon oft durchgekaut. Schon immer gab es Kriegsflüchtige oder aus religiösen Gründen Vertriebene. Durch diese Migrationsströme wurden unzählige heimatlose Menschen in verschiedene Länder geschwemmt, die sich wiederum von der Anwesenheit dieser neuen Kulturen in ihrer Heimat und nationaler Identität bedroht fühlten. Dieses Phänomen verbreitet sich überall. Die daraus resultierenden Aktionen werden zum Beispiel durch die Modernisierungstheorie gerechtfertigt. So kann man die Schuld von sich weisen und das Problem auf die endogenen und zum Teil selbstverschuldeten Faktoren schieben.
Darum gibt es Organisationen wie Frontex; so stark ist das Bedürfnis ist, mit allen Mitteln die Grenzen geschlossen zu halten. Auch wenn man den Blick zu anderen Kontinenten wendet, erkennt man dieses Muster.
Der 45. Präsident der Vereinigten Staaten gewann mit dem Versprechen, er wolle eine Mauer bauen, um die Immigration aufzuhalten. Dieser Trend zieht sich über Länder, in denen immer mehr konservative und sogar rechtspopulistische Kräfte gewinnen: Orban, der in Ungarn für zwei Jahre jegliche Migration verbieten wollte, Brasiliens Ausstieg aus dem UN-Migrationspakt unter der Leitung von Bolsonaro, Johnson der das Migrationssystem reformierte als Grossbritannien aus der EU austrat und noch viele mehr.
Die Angst vor Heimatverlust kann also, wenn sie in die falschen Hände gerät, als starke politische Waffe missbraucht werden. Ein Beispiel für diese Situation ist die Durchsetzung des Dublin Abkommens der EU im Bezug zur türkischen Regierung. Die Türkei solle, als eines der wichtigsten Transitländer, Flüchtlinge bei sich behalten, sodass sie bei einer Anfrage für Asyl in ein anderes europäisches Land zurückgeschickt werden können. lm Gegenzug dazu verlangen sie nebst Geld, auch Visafreiheit in der EU. Letzteres wurde jedoch nicht umgesetzt. So erhöhte sie den Druck, indem sie drohte die Grenzen zu öffnen. Menschen, die alles hinter sich gelassen und verloren haben werden also gegen Geld und politische Freiheiten getauscht.
Wenn sie es doch bis in die Schweiz schaffen, und wir diese Heimatlosen, nach einem komplizierten und langwierigen Prozess, über unsere Grenze lassen, erwarten wir eine vollkommene Assimilation von ihnen. Nur wenn sie ihre alte Identität, Kultur und somit den Rest ihrer Heimat loslassen, gewähren wir ihnen, sich niederzulassen. Meistens bedarf es zwei bis drei Generationen, um überhaupt wieder Wurzeln zu schlagen. Die meisten Länder haben eine mangelnde Fähigkeit, mit den Konsequenzen von Wanderungsbewegungen und den damit einhergehenden fremden sprachlichen, sozialen und kulturellen Elementen fertig zu werden.
Wenn sich die Gruppe der Menschen, die kulturell anders verortet sind, vergrössert, fühlt man sich fremd in der Eigenen Heimat, diese Gruppen teilen das Fremdfühlen ebenso, da sie sich nicht als angenommen empfinden. Hier entstehen Spannungen, die wir auch in aktuellen Themen, wie der Kopftuchdebatte, erkennen können. Aggressive Erscheinungen, wie "Gilets jaunes" (Gelbwesten) sind ebenso das Resultat solcher Entwicklungen, wie Angehörige verschiedener Religionen oder auch benachteiligte Kulturen, die sich nicht mehr verstanden fühlen und zu radikalen Gruppen werden.
Diese Heimatlosigkeit ereignet sich nicht nur auf der geographischen Ebene. Es kann auch einfach ein Verlust des Zugehörigkeitsgefühls sein. Das Tempo unserer digitalisierten Gesellschaft führt dazu, dass die Anzahl der betroffenen Menschen zunimmt.
Die Frage, wie wir als Gesellschaft damit umgehen wollen, bleibt jedoch unbeantwortet. Um uns dieser anzunähern, müssen wir uns intensiv mit der Thematik des Heimatverlustes auseinandersetzen. Ein Anfang in diesem Prozess kann das Gespräch über Heimat und ähnlich relevanten Begriffen sein.
Das Einwanderungssystem und der Umgang mit Immigranten sind noch offene Baustellen, hinsichtlich der Schaffung einer neuen Heimat. Es gilt, aus dieser Vielfalt zu schöpfen und ihre Innovation geniessen.
Als gegenüberzusetzendes Beispiel: Kanada sieht Migration als Chance und versucht, das Zuwanderer-Potential maximal zu nutzen. Somit wird es zu einem bunten multikulturellen Land, das vielen Menschen eine Heimat bieten kann. Dass es als multikulturelles Einwandererland vorbildlich funktioniert, gibt uns eine neue Perspektive. So wird es möglich, ohne unüberwindbare externe Hürden überall eine Heimat zu schaffen.
Denn jeder Mensch hat ein Recht auf Heimat.